Reisezeit: Mai 2022
Nachdem wir mehr als zwei Wochen an der Karibikküste Kolumbiens waren, viel geschwitzt und unzählige Mückenstiche einkassiert hatten, wollten wir nun ins Landesinnere, in die Berge der Kaffeeregion. Da wir ungern ewig mit Bussen unterwegs sind, planten wir eine Zwischenstation in Medellín. Bei unserer Recherche im Vorfeld merkten wir, dass einige Reisende die Stadt supertoll fanden und andere schrecklich. Interessant – auf nach Medellín.
Apartment mit Ausblick
Medellín gehört zu den Städten Kolumbiens, bei denen man sich vorher etwas informieren sollte, in welchem Stadtteil man landet. Unser für drei Nächte gemietetes Appartement lag nicht in dem Stadtteil, wo wir hin wollten, aber auch nicht innerhalb der „No-Go-Area“. Richtig schön war es dort nicht, fühlte sich aber eher ruhig und sicher an. Außerdem hatten wir einen tollen Blick über die Stadt und die umgebenden Berge. Auch und vor allem im Dunkeln lohnte sich ein Blick aus dem Fenster auf das Lichtermeer.
Wo geht’s denn hier zur Touri-Info
An unserem ersten Tag wollten wir schnell zur Touri-Info, um uns Kartenmaterial zu besorgen. Es sollte an verschiedenen Orten welche geben. Eine davon am Botero-Platz in der Altstadt. Leider konnten wir sie nicht finden. Aber zum Botero-Platz wollten wir eh, um uns die dort im Freien aufgestellten Bronzestatuen des bekannten kolumbianischen Künstlers Fernando Botero anzuschauen.
Fernando Botero Angulo
Der 1932 in Medellín geborene Fernando Botero Angulo gilt als der bekannteste, noch lebende Künstler Südamerikas. Seine Kunst wird unter anderem in New York, Paris und Madrid ausgestellt. Neben Stilleben und Landschaftsbildern, konzentrierte sich seine Kunst auf die Darstellung proportional „übertriebener“ Körperformen – sowohl bei Menschen als auch bei Tieren. Dies ist zum Teil humoristisch gemeint, hat aber wohl durchaus auch einen politischen Hintergrund. Botero spendete viele seiner Kunstwerke (Bilder und Skulpturen) Museen in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá und seiner Heimatstadt Medellín, so auch die Statuen, die auf dem Bolero Platz frei zugänglich sind. Angeblich soll das Berühren der Statuen einem Liebe und Glück bringen – also rubbelten so einige Menschlein vor Ort an den Statuen herum 😉
Danach versuchten wir die nächste Touri-Info zu finden. Auf der Karte lag sie ca. 15min entfernt. Also schlenderten wir los. Auf dem Weg gab es nicht viel Schönes zu sehen. Viel Straße, viele Motorradwerkstätten, einiges an Müll, Obdachlose unter den Brücken und dann irgendwann: das genaue Gegenteil. Ein Geschäftsviertel, Glasfassaden, teure Restaurants, in denen diverse Anzugträger*innen sich ein Mittag schmecken ließen und alles schien sehr modern und sauber. Nur die Info war nirgends zu sehen. Wir fragten uns also durch, wurden von der einen in die andere Richtung geschickt, bis wir dann irgendwann den entscheidenden Tipp bekamen. Wir landeten an einem kleinen, mit Pflanzen bewachsenen Holzhüttchen, auf der ein „i“ prangte – endlich. Uns kam in den Sinn, dass es vielleicht das Konzept der Touri-Infos in Medellín ist, dass man auf der Suche nach deren versteckten Filialen praktisch auf eigene Faust die Stadt kennen lernt. Wer weiß? 😉 Dennoch, die engagierten Mitarbeiter*innen konnten uns noch einige Anreize mitgeben und gaben uns weitere Tipps, aber keine Karten. Dafür wurden wir noch einmal weiter verwiesen – immerhin nicht weit entfernt. Als wir ankamen, machte man dort jedoch Mittagspause. So entschieden wir uns für ein erstaunlich leckeres und preiswertes Lunch in der Nähe. So blieben wir auch trotz eines spontanen Sturzregens trocken.
Nach dem Essen bekamen wir dann endlich unsere Metro-Karte. Uns interessierte vor allem die Cable-Car (Seilbahn), die in Medellín zum ganz normalen Verkehrsmittel gehört und vor allem die auf den Bergen gelegenen Stadtteile mit der Innenstadt verbindet. Wenn man sich also ein U-Bahn -Ticket kauft, kann man auch direkt die Seilbahn mitbenutzen. Fanden wir toll und fuhren gleich mal einige Berge damit hoch, schauten uns Stadtteile von oben an, die wir schon alleine wegen der Steigung wohl nie besucht hätten und genossen die entspannte Fahrt, sowie die tollen Ausblicke. Tolle Sache! Können wir uns auch gut für Berlin oder andere Städte vorstellen.
Stadtsoziologie zum Erleben
Tag 2 sollte einer unserer Highlights werden. Wir sind Fans von Free-Walking Touren, bei denen man im Voraus erst einmal nichts bezahlen muss, dem*der Führer*in am Ende aber (freiwillig) einen Geldbetrag geben kann, den man selbst für angemessen hält – je nachdem, wie es einem gefallen hat. Immer wenn sich also die Möglichkeit ergibt, eine Free-Walking Tour zu unternehmen, nutzen wir sie. Viele Empfehlungen hatten wir bezüglich einer Tour durch den Stadtteil „Comuna 13“ gelesen.
Comuna 13
Die Comuna 13 in Medellín galt einmal als gefährlichstes Stadtviertel der Welt, in der sich Polizei, Drogenbanden, rechte Paramilitärs und linke Farc-Rebellen bekriegten. Niemand wäre auf die Idee gekommen, freiwillig dort hineinzuspazieren oder gar dort zu wohnen. In den letzten Jahren hat das Viertel jedoch eine nahezu einmalige Transformation durchgemacht und wurde dadurch zum Vorzeigebeispiel des sozialen Wandels in Kolumbien. Heute ist die Comuna 13 berühmt für ihre Streetart. Die Künstler*innen sind zum Teil weltbekannt, haben eigene Gallerien im Viertel und investieren ihr Geld vor Ort. Auch wurden weitere Möglichkeiten aufgetan, den Tourismus anzuziehen und somit auch Investoren und Möglichkeiten seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Die Rolltreppe ist eine der wichtigsten Investitionen des steilsten Stadtteils in Medellín und bewirkten einen wahren Entwicklungsschub und eine extreme Erleichterung für die Bewohner*innen, die vorher regelrecht von der Innenstadt abgeschnitten waren. Zudem fährt auch hier mittlerweile eine Seilbahn.
Unsere junge, im Viertel aufgewachsene Stadtführerin machte ihren Job tatsächlich super. Man merkte, dass sie mit dem Herzen dabei war. Sie konnte wirklich jede Frage beantworten und erwähnte auch die kritischen Seiten der Veränderungen im Viertel – zum Beispiel, dass sich Einheimische (hier wohnen immernoch die Ärmsten der Stadt) die Mieten im aufgewerteten Viertels teilweise schon nicht mehr leisten können. Oder, dass zur Hauptreisezeit zu viele Tourist*innen einige Straßen des Stadtviertels stürmen und die Bewohner*innen sich dadurch oft nicht mehr wohl fühlen.
Wir waren zum Glück außerhalb der Saison da, unsere Gruppe war klein, die Stimmung entspannt und somit konnten wir die Tour genießen, alles entdecken und viele Fragen stellen. Wir durften ein leckeres Popsicle verkosten – ein Wassereis aus frischen Früchten, das mit salzigem Limonenwasser gereicht wurde, bestaunten die tollen Graffiti, besuchten tolle Streetart-Gallerien, hatten wunderschöne Ausblicke über die bunten Dächer des Viertels und genossen die Stimmung voll von Kunst, Tanz, Gesang bzw. HipHop (Ausschnitte davon findet ihr in unserer Story auf Instagram, siehe unten).
Für uns beide, aber vor allem für mich, als Sozialwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Stadtsoziologie, war diese Tour tatsächlich eines der interessantesten Dinge, über die wir bisher lernen durften.
Streetart mit Bedeutung
Viele Graffitis haben einen historischen, sozialen und/oder politischen Hintergrund. In diesem. Beispielbild sieht man drei Vögel in den Nationalfarben Kolumbiens – einer hat einen Schlüssel im Schnabel, mit dem der Geist (Schlüsselloch Kopf) geöffnet werden soll. Es geht um Antirassismus: denn unter unserer verschiedenfarbiger Haut haben wir alle Muskeln und Knochen – wie auf dem Bild sichtbar.
Grüner Berg in der Stadtmitte
An unserem letzten Tag in Medellín wollten wir uns noch den Aussichtspunkt Cerro Nutibare sowie die auf dem Berg befindliche Pueblito Paisa anschauen. Paisa nennen sich die Einheimischen in Kolumbien und Pueblito ist die spanische Verniedlichung von Pueblo – auf Deutsch Dorf, verniedlicht also Dörfchen. An sich hätten wir dort auch hin- bzw. hochlaufen können, aber wir hatten keine Lust ;). Also stiegen wir in ein Taxi, das auf dem Weg durch ziemlich üble aussehende Ecken der Stadt fuhr. Irgendwann fuhr er dann jedoch den Berg hoch, alles wurde grün und schön. Oben angekommen sahen wir schon das kleine Pueblito – es wirkte wie aus einem Märchen entschlüpft. Irgendwie ganz süß mit seinen kleinen bunten Häusschen, einem Springbrunnen, der nicht funktionierte (Fun-Fact: alle Springbrunnen, die wir bisher auf unserer Reise durch die Länder sahen, funktionierten übrigens nicht), einem Museum, kleinen Shops und Restaurants und sogar einen Minikirche. Aber irgendwie wirkte es auch wie eine Filmkulisse – irgendwie unecht. Dennoch, wir genossen ein kleines Mittagessen während wir den Ausblick von hier oben über wirklich ganz Medellín und die von oben sichtbaren Facetten der Stadt genossen. Auf das Museum hatten wir keine Lust, also spazierten wir nach einer Weile einen der vielen Wanderwege entlang wieder nach unten, genossen die frische Luft und zwitschernden Vögel um uns herum.
Wir hatten eine gute Zeit in Medellín, haben schöne, aber auch nicht so schöne Ecken gesehen – Ecken, in denen Menschen, scheinbar unter Drogeneinfluss, auf der Straßen bzw. auf Gehwegen lagen, sich Obdachlose ihre Haare mit Pfützenwasser wuschen, alles sehr vernachlässigt, müllig und stinkig war. So bleibt die Stadt für uns, für den kurzen Einblick, den wir hatten, eine spannende Stadt der Gegensätze mit viel Geschichte.
Hier gehts zu unserer Medellín-Story auf Instagram
Mit bewegten Bildern 😉